Die alternde Frau

Vor Kurzem habe ich “Das Leben keiner Frau” von Caroline Rosales beendet, ein sehr starkes Buch über Frauen, die in einer jugendbesessenen Gesellschaft keinen richtigen Platz mehr finden und ab 50 häufig irgendwie aufs Abstellgleis geraten, gleichzeitig der nach Fehlern suchenden Lupe dennoch nicht entrinnen können.

Schlechte Mutter, schlechte Tochter, schlechte Feministin. Zu dünn, um gesund zu sein. Zu ungesund, um als Vorbild zu taugen. Keine Geliebte, keine Ehefrau, keine Freundin. Ich bin als gar keine Frau gut.

Die Lektüre war schmerzhaft, hat aber auch gutgetan, denn lange schon lese ich keine Literatur mehr über junge Frauen in Großstädten, die irgendwie ihr Leben zwischen Job und Liebeskummer meistern. Wieso? Weil ich selbst eine junge Frau in einer Großstadt bin. Es langweilt mich ja schon stellenweise, ich selbst zu sein - das muss ich dann wirklich nicht noch in Geschichten lesen. Es ödet mich an. Ich will mehr Frauen jenseits der 30 oder 40 in Kinofilmen sehen, in Netflix-Serien, in Theaterstücken, und ich will von ihnen in aktuellen Romanen lesen. Ich möchte, dass sie dort nicht nur als Mütter oder liebenswürdige Großmütter eine Rolle besetzen, sondern, dass die komplette Vielfalt eines Frauenlebens abgebildet wird. Und dass die Schauspielerinnen, die das machen, anständig bezahlt werden.

Denn diese Einseitigkeit der Darstellung auf Leinwand und Co. hat natürlich auch ökonomische Konsequenzen für uns Frauen, klar. Während ein höheres Alter als neununddreißig Männer auf der Leinwand nicht als Sexualpartner oder in der Rolle eines stürmischen Liebesabenteuers disqualifiziert, steigt das Gehalt von Hollywoodschauspielerinnen an, bis sie ungefähr 34 sind. Danach fällt es rapide ab, während das der Männer kontinuierlich bis zu ihrem 51. Lebensjahr weitersteigt und sich dann recht weit oben stabilisiert.

Clint Eastwood? Charakterschauspieler! Ja, der Mann ist 91, aber das heißt nicht, dass man ihn nicht noch als “Sexsymbol” feiern kann! Man spricht bei alternden Männern von “reifen”, von “den besten Jahren”, ihre zerfurchten Gesichter sind “Charaktergesichter”. Dabei altern Männer nicht stärker oder anders als wir Frauen, der einzige Unterschied liegt darin, dass wir ihnen gestatten, zu altern, während uns Frauen dasselbe Recht nicht eingeräumt wird.

Wenn ein Mann über 60 noch einmal mit einer jüngeren Partnerin Vater wird, schmunzeln wir und denken uns: Na, gut für ihn. Wenn eine Frau mit Mitte 40 oder gar über 50 noch ein Kind bekommt, verbreiten sich alle möglichen Menschen darüber, ob das in dem Alter denn wirklich noch sein müsse, es gebe schon einen Grund, wieso Frauen recht früh ihre Fruchtbarkeit verlieren, Mensch, das arme Kind, so eine alte Mutter, herrje.

2015 protestierte die amerikanische Schauspielerin Maggie Gyllenhaal dagegen, für eine Rolle als Liebhaberin eines Mannes abgelehnt worden zu sein. Der Grund? Sie sei zu alt. Ihr Alter damals: 37. Das des Mannes: 55. Das und ein Blick in die Neuerscheinungen auf dem Buchmarkt, auf dem die Geschichte “alter, gebildeter Mann kriegt Krise, verliebt sich in jüngere Frau, und dann wird zwischen Einlassungen zu Platon und Bauhaus-Architektur auch mal ordentlich gevögelt” hoch und runter erzählt wird, zeigt, dass die Geschichten, die wir konsumieren, hauptsächlich aus Männerköpfen stammen. Dass sich Autoren, Regisseure und Drehbuchschreiber damit gegenseitig immer wieder versichern, dass es absolut realistisch ist, dass Frauen in meinem Alter erst so richtig auf Männer stehen, wenn sie ihre Haare verlieren, anfangen, etwas strenger zu riechen und mit dem Smartphone nur noch so mittelgut zurechtkommen. Diese Fantasie, dass wir, die naiven, leeren Gefäße, von ihrem Wissen (und Sperma, machen wir uns nichts vor) gefüllt werden wollen. Keine Angst, doch, doch, Joachim, das ist so, bitte schreibe die achthundertste Version der Geschichte, sie ist so aktuell wie nie.

Uns Frauen haftet immer und überall das Körperliche an. Egal, was wir machen, alle Gedanken, die wir formen und die sich in Wissenschaft ergießen oder in Kunst oder Literatur, stammen aus einem Kopf, an dem nun einmal ein irgendwie gearteter Körper hängt. Und so konnten sich auch nur wenige Redakteure beim Erscheinen von “Marianengraben” oder auch bei meinen anderen Büchern zurückhalten, im Text darauf zu verweisen, dass ich eine junge Frau sei. Dass ja momentan Literatur junger Frauen angesagt sei, dass es sicher nicht auch hinderlich sei, dass ich “attraktiv” und auf Social Media aktiv sei, wo man mich dann auch bestaunen, mein Äußeres konsumieren kann. Die junge Autorin. Die junge Frau mit den dunklen Locken. Jung. Jung, jung.

Auf der Buchmesse äußerte sich ein Redakteur enttäuscht darüber, dass ich ja “ganz anders” als beim letzten Interview aussehe, das wir miteinander geführt hatten. Ja, das war seine Einstiegsbegrüßung. Spannend, dass er sich traut, mir sowas einfach ins Gesicht zu sagen, aber bei einer Frau kann man das schon mal machen. Was er meinte: Erschöpft, weil lange Phase der schweren Depression hinter mir, 12 Kilo schwerer, weil, wie gesagt, lange Phase der schweren Depression und Pandemie hinter mir, ungestyled, weil die ganze Welt gerade brennt und mir ehrlich gesagt scheißegal ist, ob man meine Augenringe, Falten und spröden Haare sieht, oder nicht. Ich habe in der Pandemie drei Bücher rausgebracht, dabei als Risikogruppe diese verdammte Seuche bisher unbeschadet durchgestanden, eine schwere Depression überlebt, knie nieder und zeig dich beeindruckt, verdammt nochmal, und scheiß auf meine Frisur oder mein Doppelkinn.

Ihm war es aber nicht egal. Er hat das Interview durchgehuscht, es ist nie erschienen, stattdessen hat er ein spontanes Interview mit einer anderen Autorin gebracht, die 10 Jahre jünger, sehr strahlend war und auch, im Gegensatz zu mir, angemessene Dankbarkeit gezeigt hatte für die Chance, auf der Kulturseite in einer kleinen Ecke über 8 Zeilen zu erscheinen, darüber ein großes Bild von ihr. Prioritäten, eben. (Sie hat übrigens ein fantastisches Buch geschrieben, das in dem Text eine Randnotiz war. Das Thema stattdessen: So jung und schon ein Buch! Ich wette, sie hat innerlich gekotzt.)

Das Ding ist: Ich werde nächsten Monat 34 und merke schon die Verschleißerscheinungen im Kulturbetrieb, in dem ich erst kurz dabei bin; was komplett absurd ist bei einer theoretischen Lebenserwartung von über 80. Einerseits bin ich eine junge Autorin, andererseits eine Spätzünderin, und langsam werde ich ja auch ein wenig faltig und so, schwierig. Schrödingers Schriftstellerin, ich weiß gar nicht, wo ich mich jetzt einordnen sollte. Zu jung, um ernstgenommen zu werden, in 5-6 Jahren zu alt, um naiv-sexy zu sein. Doch ich finde das Älterwerden toll, will gar nicht jünger sein, denn das Lustige ist:

Mit Anfang 20 war ich eine Idiotin, ganz ehrlich.

Ich bin so dermaßen froh, damals nichts veröffentlicht zu haben oder in der Öffentlichkeit gestanden zu haben. Ich dachte, wir Frauen seien gleichberechtigt und meine Schreibversuche damals drehten sich um das Leben als junge Frau in der Großstadt, gefangen zwischen Job, Studium und Liebeskummer. (Sollte ich jemals einen Berlinroman rausbringen, holt Hilfe.) Allerdings war ich sehr dünn, vielleicht wären die Redakteure dennoch begeistert gewesen.

Was ich mit diesem langen, etwas chaotischen Gedankenfluss sagen will:

Ich halte diese Standardgeschichten nicht mehr aus. Ich kann kaum noch Kinofilme schauen, denn egal, um welches Thema es eigentlich geht: Es muss unbedingt irgendwie eine Lovestory rein. Der Betrieb behauptet, das sei wegen uns Frauen, das kaufe ich ihm aber nicht ab. Denn wir Frauen würden, wenn es denn sein muss, auch eine Lovestory zwei Achtzigjähriger schauen - abgesehen davon, dass wir durchaus in der Lage sind, Themen zu folgen, ohne, dass sich jemand verliebt. Aber bei der Lovestory, die natürlich heterosexuell ist (klar), muss auf jeden Fall eine Frau unter 32 dabei sein, Alter des Mannes: egal. Und ich kann das nicht mehr sehen. Ich kann es auch nicht mehr lesen, deshalb lese ich momentan fast nur Literatur von Frauen, und auch nur solche, in der es nicht um klischeehafte Liebesbeziehungen geht, die uns vom Patriarchat beigebracht wurden.

Zeigt mir Frauen, die 60 sind und ein blühendes Sexualleben zwischen Hängebusen und Scheidentrockenheit führen, zeigt mir Frauen, die mit Mitte 50 in der Karriere richtig durchstarten, zeigt mir Frauen, von denen ich etwas für mein Leben als Frau lernen kann, und nicht solche, die mir nur die Fantasie heterosexueller, meist weißer Männer spiegeln.

Danke sehr.

Foto: Johnny Cohen für Unsplash

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Schreiben wie ein Mann.