Schreiben wie ein Mann.

Als ich aufwuchs, war ich umgeben von Büchern, die von Männern geschrieben wurden – von klassischer Literatur bis hin zu aktuellen Bestsellern. Auch in der Schule lasen wir fast nur Männer. Die einzigen, die dagegen aufbegehrten, war eine neue Generation Lehrerinnen, die wir irgendwann hatten. Sie besorgten uns auf eigene Kosten Klassensätze von Büchern von Silke Scheuermann, gaben uns Kathrin Passig an die Hand, obwohl es vom Lehrplan abwich – den gerade junge Referendarinnen sehr streng befolgen mussten, um gut bewertet zu werden. In Buchläden lagen Bücher von Männern in den Auslagen, die Bestsellerlisten im SPIEGEL bestanden ebenfalls fast ausschließlich aus Büchern von Männern. Frauen schrieben meiner Wahrnehmung nach nur Kochbücher oder Ratgeber, oder eben schnulzige Liebesromane.

Mit sieben oder acht Jahren begann ich ernsthaft, eigene Geschichten zu schreiben – meist Fantasy oder Horror, oder irgendwas mit Tieren. Ich war überzeugt davon, eines Tages Schriftstellerin werden zu können. Doch irgendwann sickerte in meinen Kopf ein, dass ich ja auch irgendwann heiraten und Kinder kriegen “müsse” – egal, ob ich das wollte oder nicht – und dass das mit der Schriftstellerei dann schwer wird. Und überhaupt, konnten Männer nicht sowieso besser schreiben? Denn wieso sieht man überall nur Bücher von Männern?

Mit siebzehn oder achtzehn hatte mir schon so ziemlich jede:r meiner Deutschlehrer:innen nahegelegt, dass ich Dramaturgin oder Schriftstellerin werden solle, dass ich Dialoge schreiben müsse, dass ich Szenen aufs Papier und vielleicht auf die Bühne bringen solle, dass das meine Zukunft sei. Mein Selbstbewusstsein hatte da also zum Glück doch wieder an Fahrt aufgenommen und ich dachte, dass ich vielleicht schreiben könnte, obwohl ich eine Frau bin. Das Frausein war damals für mich wie ein Defekt, den es zu überwinden oder zumindest zu verbergen galt.

Als Konsequenz ließ ich mir jahrelang einflüstern, dass ich anders als die anderen Frauen sei, dass ich das alles so gut könne, weil ich wie ein Mann sei, wie ein Mann schriebe. Also jagte ich bis Mitte 20 dem frauenfeindlichen Märchen hinterher, “anders als die anderen Frauen” sein zu müssen, um etwas zu gelten.

Du bist anders, als die anderen Frauen

Ich bin froh, dass ich diese perfide Masche irgendwann durchschaut habe. Aber bis dahin versuchte ich, um Gottes Willen nicht wie die anderen Frauen zu sein, ohne zu reflektieren, was das bedeutete. Mit Mitte, Ende 20 begann ich, das endlich zu verstehen, weil diese Story nach und nach in der Öffentlichkeit kritisch hinterfragt wurde: Der Satz "du bist nicht wie andere Frauen" ist kein nettes Kompliment, sondern wie Gift, weil er impliziert, dass von der Gesellschaft als “weiblich” zugeordnete Attribute negativ sind, weil er die Unterdrückung dieser Teile unserer Persönlichkeit fördert und Frauen gegeneinander ausspielt.

Der Satz suggeriert, dass es etwas Positives ist, nicht wie “andere Frauen” zu sein, denn als weiblich zugeordnete Eigenschaften werden oft mit negativen Konnotationen in Verbindung gebracht, wie z. B. übermäßig sensibel, schwach, weinerlich, zu emotional, zu pingelig, zu gestresst, zu unentspannt, dramatisch oder “crazy” zu sein. Dieses Framing ermutigt Frauen (aber auch Männer!) dazu, diese Eigenschaften zu unterdrücken, um eben nicht so nervig und simpel wie “andere Frauen” zu sein. Denn wollen wir nicht alle etwas besonderes sein? Genau. Und wer definiert diese Besonderheit? Genau, Männer.

Dieser Vergleich zwischen Frauen ist unangemessen und spaltet uns. Er führt dazu, dass wir uns gegenseitig be- und abwerten und denken: "Ich bin besser als sie." Diese Art von Denken ist nicht nur ungesund, sondern hilft auch denen, die uns kontrollieren wollen. Die Gesellschaft hat uns darauf programmiert, in einen Raum voller Frauen zu betreten und uns zu fragen: "Bin ich hübscher als sie? Habe ich eine bessere Figur als sie? Oh Gott, ist sie klüger als ich? Bin ich erfolgreicher als sie?" So bleiben wir schön beschäftigt und können in der Zeit, in der wir vergleichen und uns selbst “oprimieren”, nicht hinterfragen, was wir hier gerade eigentlich machen.

Aussagen, die unterstellen, dass alle Frauen gleich sind, implizieren auch, dass wir Frauen eine homogene Gruppe bilden. Dieses Klischee spiegelt jedoch nicht die Realität der vielfältigen und einzigartigen Menschen wider, die die weibliche Bevölkerung ausmachen. Alle Frauen in meinem Leben sind total unterschiedlich und haben ihre eigenen, einzigartigen Persönlichkeiten, Wünsche, Träume und Gedanken. Wer sind also jene "anderen Frauen", denen wir nicht ähnlich sein sollen? Boy, ich bin genau so wie die anderen Frauen – und das ist fein. Ein Kompliment sollte sich auf die eigenen Qualitäten und Eigenschaften der Person beziehen, anstatt auf Vergleiche. Wenn dein Partner dir sagen will, dass du etwas Besonderes für ihn bist, sollte er einfach sagen: "Du bist etwas Besonderes für mich." Kommt er stattdessen mit “du bist anders als die anderen Frauen” oder erzählt von seiner “verrückten Ex” – sowas von red flags, röter geht kaum.

Aber was hat das jetzt mit meinem Schreiben zu tun?

Was Gynäkologisches

Nun, ich wollte natürlich auch nicht schreiben wie die anderen Frauen. Das ist eine steile Aussage für jemanden, der zu diesem Zeitpunkt seit 20 Jahren mit männlicher Literatur bombardiert wurde und kaum Frauen gelesen hatte. Also schrieb ich, um “gut” zu schreiben, wie ein Mann. Kostprobe gefällig? Gerne, aber halte deine Kotztüte bereit.

“Plötzlich änderte sich ihre ganze Körperhaltung, sie wurde offener, zugewandter. Ich dachte, dass sie eigentlich ganz süß aussieht, sie hatte so einen Leberfleck an der Schläfe, den ich die ganze Zeit anstarren musste und der sich bewegte, wenn sie sprach. Ich hänge mich oft an so Kleinigkeiten auf, das finde ich spannend, kleine Brüche in etwas, das man allgemein als Schönheit bezeichnet.” (…)

Jedenfalls stand da diese Frau neben mir und ich fragte mich, ob sie ihr Muttermal hasste, ob sie noch mehr Muttermale am Körper hatte, die würde ich gern mal sehen, die Muttermale. Sie war Agentin, erzählte sie mir, und ob ich bei Emins Verlag unter Vertrag sei. (…) Dann fing sie an, von ihrer Agentur zu sprechen, erzählte mir, wer da schon alles unter Vertrag sei (ich kannte keinen der Namen) dies das. Hölzern spulte sie all das ab; wie ein lieblos einstudiertes Programm. In meinen Augen wurde sie dadurch irgendwie doch hässlich, (…) es war einfach so unsympathisch.

Als ich das schrieb, war ich 25 und eine komplette Vollidiotin. Wenn ich das lese, will ich mir nur vor Scham die Augen auskratzen oder die Haut vom Gesicht reißen, es ist kaum auszuhalten. Und das hier zu posten ist eine unglaubliche Überwindung und ich bete, dass mich jetzt nicht alle hassen. Ich meine ernsthaft. WIE SCHLECHT IST DAS?!

Aber ich dachte damals: “Okay, so denken Männer, und wenn ich einen Mann als Protagonisten habe, muss ich so schreiben – so cool und abgeklärt und unnahbar und hart.” Und ich dachte es sei cool oder “schick”, gezielt einen Protagonisten zu schreiben, der nicht likeable und irgendwie toxisch ist. Das wäre genau der Typ, der dir sagt, dass du nicht “wie die anderen Frauen” seist und der auf seinem Tinderprofil Fotos von sich und Kindern in Afrika hat. Mein Gott, mich schüttelt es noch heute.

Jetzt gerade blicke ich auf diesen Textausschnitt und frage mich, was für ein Hirnwurm da in mir lebte, dass ich sowas schrieb. Ich arbeitete damals mit einer anderen großen Agentur zusammen, und der Agent (ja, ein Mann), meinte zu mir, dass der Stil perfekt und glaubwürdig so sei. Ich schrieb das ganze Buch und habe es gehasst. Je mehr ich schrieb, umso mehr wuchs die Scham in mir und ich dachte: Das soll gut sein? Das ist doch scheiße, das klingt scheiße, wieso soll ich das so machen, wieso, wieso, wieso? Aber wer war ich schon? Ein erfahrener Mann aus der Literaturbranche sagte mir, dass das so muss, und ich war doch nur eine Biologin, was wusste ich über Literatur? Aber ich konnte irgendwann nicht mehr. Ich hasste meinen Text so unglaublich. Das klang alles nicht nach mir, mich interessierten die Themen nicht, ich schrieb das nur getrieben von der Angst, von der Literaturbranche als “Frauenliteratur” eingestuft zu werden. Und “Frauenliteratur” war doch was Schlechtes, oder?

Ich habe nur noch Fragmente dieses literarischen Verbrechens, aber die hebe ich auf wie ein Mahnmal, damit ich auf keinen Fall jemals wieder dazu zurückkehre. Neben dieser Katastrophe von Text schrieb ich nämlich heimlich etwas anderes, eine Geschichte mit dem Arbeitstitel “Helmut”. Nur so, nur für mich. In meiner eigentlichen Sprache, so, wie ich eigentlich war und dachte. Ich schickte das meiner Freundin Gina Schad, ebenfalls Autorin, die zu mir sagte: “Jasmin, das ist das Beste, das du je geschrieben hast.” Ich habe das weggelacht, weil ich dachte, dass sie Unsinn redet. Dass es zu weich sei, zu wenig literarisch, gar nicht wie Männer schreiben. Was würde Marcel Reich-Ranicki dazu sagen, hätte er noch gelebt? Er hätte vermutlich gedacht, dass ich bewusstlos war und der Text derweil allein von meiner Gebärmutter geschrieben worden war, da bin ich mir sicher.

Man darf auch nicht sagen, Frauen können keine Romane schreiben. (…) Frauen können Novellen schreiben, wunderbar, Frauen können Gedichte schreiben. Fragen Sie mich nicht, warum! Fragen Sie Gynäkologen!

(Marcel Reich-Ranicki)

Das Beste, das ich damals getan habe, war aufzuhören zu schreiben, wie ein postpubertärer Mann. Das zweitbeste war, dass ich jenes Manuskript weggeworfen habe. Das drittbeste war, diese kleine “Fingerübung” fertigzuschreiben, weil diese sich mittlerweile weit über 100.000 Mal verkauft hat, in mehreren Sprachen, und sie wird verfilmt. Ihr Name? Marianengraben.

Ich lese keine Männer mehr

Das nächste, an dem ich arbeiten musste, war mein Leseverhalten. Ich hatte und habe immer noch Jahrzehnte aufzuholen, in denen ich kaum Literatur von Frauen konsumiert habe. Ich lese noch ab und zu Bücher von Männern, Ausnahmen bestätigen schließlich die Regel, aber ich lese seit drei oder vier Jahren zu 90 Prozent Bücher von Frauen – ich muss schließlich aufholen. Am meisten Genuss bereiten mir die Gesamtwerke von Marlen Haushofer, Joyce Carol Oates, Toni Morrison, Margaret Atwood, Shirley Jackson, Virginia Woolf. Wie habe ich je ohne die Bücher von T. Kingfisher, Christina Henry, Tsitsi Dangarembga, Nicole Seifert, Cornelia Achenbach oder Judith Holofernes leben können? Ist mir schleierhaft.

All jene Bücher mit ihren männlichen Perspektiven und Erfahrungen bildeten viel zu lange die Grundlage für mein Verständnis der Welt und dafür, wie ich über sie schreiben sollte. Infolgedessen wurde mein Schreiben viel zu lang vom sogenannten male gaze geleitet, einem Begriff, den die feministische Filmkritikerin Laura Mulvey 1975 in ihrem Essay "Visual Pleasure and Narrative Cinema" geprägt hat. “Male gaze” sich dabei auf die Art und Weise, wie Männer die Welt sehen und interpretieren, und auf die Tendenz, Frauen als passive Objekte der Begierde darzustellen.

Mir wurde bald klar, dass ich mit diesem Kampf nicht allein war. Viele Schriftstellerinnen standen vor der gleichen Herausforderung, den von klein auf eingetrichterten männlichen Blick auf die Welt zu verlernen und ihre eigene Perspektive auf die Dinge zurückzuerobern. Aber das Problem ging tiefer. Das Patriarchat, ein soziales und kulturelles System, das die Erfahrungen und Perspektiven von (meist heterosexuellen) Männern in den Vordergrund stellt, durchdringt alle Sphären, auch die literarische Welt, und führt zu einem Mangel an weiblichen (und queeren!) Stimmen und Erfahrungen in der Literatur. Frauengeschichten und -perspektiven wurden oft als weniger wichtig angesehen und als "häuslich" oder "privat" abgetan, anstatt einer öffentlichen Wahrnehmung und Anerkennung würdig zu sein. Shirley Jackson könnte uns ein Lied davon singen, wäre sie noch am Leben. Oder Marlen Haushofer.

Scheiß auf den Kanon

Als ich anfing, ernsthaft zu schreiben, musste ich mir diese einschränkenden Überzeugungen und Annahmen aktiv abgewöhnen. Ich musste mich von der Vorstellung verabschieden, dass nur die Erfahrungen und Perspektiven von Männern zählen und dass die Erfahrungen von Frauen es nicht wert sind, dass man über sie schreibt. Dass “Weichheit” etwas sei, für das ich mich schämen müsse, oder körperliche weibliche Erfahrungen und Wahrnehmungen. Ich musste meine eigene Stimme und Perspektive zurückgewinnen, auch wenn sie sich vielleicht hier und da von dem unterscheidet, was in der Literatur traditionell geschätzt wird. Ich sag nur: Kanon. Aber scheiß auf den Kanon, ganz ehrlich.

Es war ein langer und schwieriger Weg, aber ich habe gelernt, meine eigene Stimme und Perspektive zu finden, indem ich weiter schrieb und nach Autorinnen suchte, die ihre eigenen Geschichten auf ihre eigene weibliche Art erzählten. Ich habe gelernt, über Themen zu schreiben, die mir wichtig sind, und Frauen aus einer weiblichen Perspektive zu beschreiben, anstatt sie durch die Brille des male gaze zu betrachten.

Es ist immer noch nicht einfach. Lange verbot ich mir beispielsweise, Liebesgeschichten zu schreiben, um nicht in eine Klischeeecke zu rutschen, aus der man heutzutage als Autorin immer noch nur schwer wieder rauskommt. Aber nach und nach streife ich diese Erwartungshaltungen an mich selber ab, diese internalisierten Verbote, was sich ziemt und was nicht, was ernsthafte Literatur sein darf und was nicht. Und deshalb übersetze ich mittlerweile die Fantasy- und Horrorautorin T. Kingfisher (Ursula Vernon), weil ich sie unglaublich bewundere für das, was und wie sie schreibt. Und vielleicht veröffentliche ich auch irgendwann einmal diesen Folk Horror Roman, der seit Jahren in meiner Schublade schläft. Nicht, obwohl ich eine Frau bin, sondern weil ich eine bin.


Quellen

http://elfriedejelinek.com/andremuller/marcel%20reich-ranicki.html

https://www.amherst.edu/system/files/media/1021/Laura%2520Mulvey,%2520Visual%2520Pleasure.pdf

Literaturtipps

Nicole Seifert – Frauen Literatur

Hiltrud Gnüg (Hrsg.) & Renate Möhrmann (Hrsg.) – Frauen Literatur Geschichte

Ilka Piepgras (Hrsg.) – Schreibtisch mit Aussicht

Virginia Woolf – A Room Of One’s Own / Ein Zimmer für sich allein

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Die alternde Frau